Persönliche Stellungnahme der 1. Vorsitzenden Lucie Veith am 23.2.2012/Deutscher Ethikrat
23.02.2012 Lucie Veith
Pressekonferenz : Statement der 1. Vorsitzenden des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. anlässlich der Übergabe der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates
Sehr geehrte Anwesenden,
ich vertrete den Vorstand des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. und der vom Verein geförderten Selbsthilfegruppen xy-frauen und der SHG Intersexuelle Menschen und danke dem Deutschen Ethikrat ausdrücklich für den mit uns geführten Dialog.
Wir sind uns bewusst, dass dies eine besondere Herausforderung für die Mitglieder des Deutschen Ethikrates war und ist. Denn auch für einige Mitglieder des Ethikrates wird das Leiden der intersexuellen Menschen, das in staatlich geduldeter struktureller Gewalt, dem tabuisierten Umgang und unmenschlicher Behandlung ohne ausreichende Evidenz begründet ist, ein neues Thema.
Wir begrüßen es sehr, dass das Tabu um unser Leben und das Leiden gelüftet ist. Herr Dr. Wunder hat es in einem Betrag 2011 auf den Punkt gebracht: Intersexuelle Menschen müssen aus den dunklen Höhlen des Tabus heraus.
Die Empfehlungen stellen nach den Schattenberichten zu den Staatenberichten und den jeweiligen Abschließenden Bemerkungen der UN – Ausschüsse zur vollständigen Beseitigung der Diskriminierung der Frau,(CEDAW), dem UN Sozialpakt (CESCR) sowie dem UN- Ausschuss gegen Folter und unmenschliche Behandlung oder Strafe(CAT), der Veranstaltung 2010 im Forum Bioethik und der Anhörung durch den Ethikrat 2011, der ersten Beratung im Bundestag am 23.11.2011 einen bedeutenden Schritt auf dem Weg der intersexuell geborenen Menschen zu ihren Menschenrechten und ihrem gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft dar.
In der Kürze der Zeit war es nicht möglich ein Stimmungsbild aller vom Vorstand des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. vertretenden Menschen darzustellen. Namens des Vorstandes darf ich den Vertretern der Bundesregierung, den Bundesministerien und des Ethikrat und natürlich auch den Medienvertretern unsere umfassenden schriftlichen Bemerkungen zur Stellungnahme in ca. 4 Wochen ankündigen.
Erlauben Sie mir ein paar persönliche Bemerkungen:
Mit Verwunderung habe ich zur Kenntnis genommen, dass nicht auch das BMFSJ Auftraggeber des Dialoges ist… Hintergrund dieser Stellungnahme ist immerhin die Aufforderung des UN –Ausschusses CEDAW, und dies liegt in der Zuständigkeit des BMFSJ.
Doch nun zur Stellungnahme des deutschen Ethikrates:
Beim ersten Durcharbeiten stellt man fest, wie sehr die Bestimmung des intersexuellen Lebens durch Medizin geprägt ist. Und dies, obwohl in den allermeisten Fällen kein medizinischer Notfall besteht. Dies wurde auch vom Ethikrat erkannt und findet seine Würdigung in dieser Stellungnahme. Intersexuell zu sein bedeutet nicht, krank zu sein. Intersexuelles Leben ist eine Varianz. Die Anerkennung der Unterschiede der geschlechtlichen Entwicklung und den Vorschlag dies auch in einem freiwillig gewählten Personenstandeintrag „ anderem“ Raum zu geben wird manchem intersexuellem Menschen eine neue Perspektive geben.
Ja, ich begrüße auch die Erkenntnis, dass es um existenzielle Überlebensfragen für intersexuell geborene Menschen geht, darum dass das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit auch intersexuellen Menschen zusteht. Mehr als verwundert bin ich über die Empfehlung, Menschen mit AGS/CAH ein eingeschränktes Menschenrecht der körperlichen Unversehrtheit zuzubilligen. Menschenrechte sind nicht teilbar, sie gelten für alle Menschen gleich. Eine unterschiedliche Betrachtung in „geschlechtszuweisend“ und „geschlechtsvereindeutigenden“ OP´s erschließt sich mir nicht. Eine Genitalbeschneidung ist immer eine Verstümmelung des eigen Geschlechts.
Positiv ist, dass in der hier vorgestellten Stellungnahme das Selbstbestimmungsrecht und das Recht der Kinder auf den umfassenden und uneingeschränkten staatlichen Schutz ausdrücklich bestätigt werden.
Das Recht der stellvertretenden Einwilligung der Eltern wird benannt, jedoch auch der dienende Charakter dieses Rechts :Jede Entscheidung muss dem Kindeswohl dienen und die Genitalverstümmelung und Kastration dienen dem Kind generell nicht.
Die Frage, wie sicher gestellt wird, dass nicht über den Kopf eines Kindes entschieden wird sei hier in den Raum gestellt.
Wer schützt das intersexuell geborene Kind, wenn sich das Kind gegen die Entscheidung der Eltern und der Ärzte stellt?
Wo ist das von uns und den Eltern der SHG Elterngruppe xy-frauen vorgeschlagene zeitliche Moratorium?
Die freie informierte Einwilligung steht nun im Vordergrund. Dies wurde von intersexuellen Menschen seit vielen Jahren gefordert: Wichtige Punkte, wie die Aufbewahrungsfrist von Patientenakten werden in der Stellungnahme angesprochen, selbst die unzureichende Situation der medizinischen Versorgung, der ständige Stress dem intersexuelle Menschen mit Krankenkassen, mit medikamentöser Versorgung ist in die Stellungnahme eingeflossen. Nicht berührt sind die ungelösten Probleme mit Landeseinrichtungen mit Versorgungsämtern und Sozialgerichten.
Der Aufbau von europäischen Datenbanken zu Forschungszwecken ist keine Forderung der Betroffenenverbände. Wir würden uns nur dann beteiligen, wenn von staatlicher Seite sicher gestellt wird, dass wir, die Betroffenen
1. Zugang zu dieser Datenbank bekommen und
2. unsere Forderung nach patientenkontrollierten Forschungen garantiert werden.
Ein weitere Empfehlung des Ethikrates findet nicht meine Zustimmung. Zu finden unter 9.3 Satz 3:
Intersexuellen Menschen, die den neuen Personenstand „ anderes“ wählen , sollen ,so möchte es ein Teil des Ethikrates, keinen Zugang zur Ehe haben, sondern es soll für diese Menschen nur der die eingetragene Lebenspartnerschaft möglich sein. Ich halte dies, mit Verlaub gesagt, für einen Akt von offener Diskriminierung. Stellen Sie damit den Bestand der Familien und die Ehe von intersexuellen Überlebenden von Menschenversuchen in Frage? Dadurch, dass intersexuellen Menschen die Ehe nicht ermöglicht werden soll, ist dies doch wieder ein Weg in die Unsichtbarkeitsmachung. Intersexuelle Menschen werden in ihren Höhlen bleiben und sich einer solche menschenrechtswidrigen Praxis unterziehen, um nicht erneut aufzufallen. Welche Mutter, welcher Vater würde seinem Kind einen solchen Personenunstand zumuten? Was spricht gegen die standesamtlich legitimierte Ehe?
Der deutsche Ethikrat ist nicht die Regierung, Gesetze verabschiedet das Parlament. Ich erhoffe mir, dass die Regierung und die Ministerien sich nun zu einem Dialog entschließen und offenen respektvolle Beratung mit Vertretern des Vereins Intersexuelle Menschen als auch mit Vertretern anderer Vereinigungen aufnimmt.
Wir sind und waren stets zu Gesprächen bereit.
Diesen Empfehlungen werden nun hoffentlich bald gesetzliche Regelungen folgen, die die Rechte der intersexuellen Menschen regeln.
Zum Schluss möchte ich mich ausdrücklich bei Herrn Dr. Wunder bedanken für die vielen Gespräche und den fairen Umgang.
Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen und wir werden weiter für die Anerkennung unserer Menschenrechte kämpfen.
Vielen Dank!