PM ADS: Niedersachsen tritt „Koalition gegen Diskriminierung“ bei

Pressemitteilung

Nr. 15/2013 vom 10. Oktober 2013

Absichtserklärung zum Schutz vor Benachteiligungen, Niedersachsen tritt „Koalition gegen Diskriminierung“ bei

Niedersachsen ist der „Koalition gegen Diskriminierung“ beigetreten. Ministerpräsident Stephan Weil und die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Christine Lüders, unterzeichneten dazu am Mittwoch in Hannover die Absichtserklärung „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“. Nach Berlin, Hamburg, Brandenburg, Bremen und Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen und Baden-Württemberg ist Niedersachsen das neunte Land, das der Koalition beigetreten ist. Ziel der Vereinbarung ist es, gemeinsame Anstrengungen gegen Diskriminierung zu organisieren, lokale Anlauf- und Beratungsstellen zu unterstützen und dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz vor Diskriminierung in allen Bereichen politisch verankert wird.

„Niedersachsens Regierung nimmt den Schutz vor Benachteiligungen sehr ernst“, sagte ADS-Leiterin Christine Lüders anlässlich der Unterzeichnung und würdigte die Ankündigung des Ministerpräsidenten, ein eigenes Modellprojekt zu „Anonymisierten Bewerbungsverfahren“ auf den Weg zu bringen. „Das ist ein ganz wichtiges Zeichen gegen den Abbau von Benachteiligungen im Bewerbungsprozess“, sagte ADS-Leiterin Christine Lüders.

Ministerpräsident Weil sagte: „Ich wünsche mir sehr, dass es uns in Niedersachsen, aber auch in ganz Deutschland gelingt, jede Form von Diskriminierung zu überwinden und zu wirklicher gesellschaftlicher Toleranz zu kommen. Das gelingt uns am besten, wenn wir unsere eigenen Vorurteile gegen unsere Mitmenschen selbstkritisch hinterfragen. Nicht weniger wichtig ist es, laut und deutlich zu widersprechen, wenn in unserem Umfeld Menschen diskriminiert werden.“

Die Koalition gegen Diskriminierung ist Teil der „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“, die Anfang 2011 startete. Im Rahmen dieser Offensive fördert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutschlandweit Beratungsstellen und verstärkt ihre Öffentlichkeitsarbeit. Die ADS setzt dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen. Die Unterzeichner der „Koalition gegen Diskriminierung“ machen mit ihrer Unterschrift deutlich, dass sie entschieden gegen Diskriminierung vorgehen wollen, Beratungsmöglichkeiten vor Ort verbessern und gemeinsame Strategien gegen Diskriminierung entwickeln wollen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

www.antidiskriminierungsstelle.de.

Pressekontakt:

ADS
Glinkastraße 24
10117 Berlin

Sebastian Bickerich
Kristin Döge
Tel.: 03018 555-1805
Fax: 03018 555-41805

presse@ads.bund.de

„Das fatale Genitale“ Vortrag von Diana Hartmann

19.06.2013 AG Queer Studies Universität Hamburg

Uni Hamburg, Von-Melle-Park 5, Raum 0079

19.06.2013

19:00 Uhr

Das fatale Genitale

Diana Hartmann, KunstfotografIn und Intersex-AktivistIn, Hamburg

Eine zu große Klitoris zu haben ist nicht erlaubt in Deutschland. Mit zu „groß“ wird die Länge bei Neugeborenen bei ca. 1,5 cm angesetzt, ungefähr die Länge einer Fingerkuppe. Ein zu kleiner Penis mit weniger als ca. 2 cm ist ebenfalls nicht erlaubt. Bei einer großen Klitoris hat man/n die Befürchtung, dass sie sich über Gebühr erigieren könnte, und bei einem kleinen Penis befürchtet man/n eine nicht genügende Erektionsfähigkeit.

Solche Genitale werden zum Störfaktor der strikt aufrecht gehaltenen und beruhigenden sozialen Ordnung unserer heutigen Gesellschaft, in der jede/r zu glauben hat, dass unsere Körper nur in zwei Formen zu existieren haben: perfekt männlich oder perfekt weiblich. Unsere Genitale sind jedoch überraschend mehr – und auch uneindeutig.

Tag für Tag werden Kinder in unsere Gesellschaft geboren, die nicht zu dem reflexartigen Ausruf „Es ist ein Mädchen!“ oder „Es ist ein Junge!“ animieren, und noch viele mehr haben Genitalien, die als „maskulinisiert“ oder „feminisiert“ definiert werden, obwohl das Geschlecht des Kindes außer Frage steht. Gemäß der Leitlinie der Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin wird empfohlen, die Genitalien der Kinder im Alter von ca. einem Jahr operativ zu modifizieren, um ihre Körper in eine Richtung zu manipulieren, die dem gesellschaftlichen Konsens der „wahren“ Weiblichkeit oder Männlichkeit entsprechen. Klitorale Chirurgie und Phalloplastie sind brutal und unlogisch und – egal wie man es nennen will – sie sind immer eine Verstümmelung.

Wir werden in diesem Vortrag den misogynen, homofeindlichen und sexualitätszerstörenden Hintergrund der sog. „Genitalen Zwangsoperationen“ an Mädchen, Jungen und Intersexen beleuchten.

 

AG Queer Studies

Ich will sein, wer ich bin!

Sexuelle Vielfalt als wertvolle Verunsicherung

Fachtagung am 13. Juni 2013

Ort: Reinholdinum, Dortmund

Die Fachtagung soll Fachkräfte informieren und qualifizieren hinsichtlich sexueller Vielfalt und Genderfragen die Diskrminierung von Minderheiten zu vermindern.

Der Flyer und das Anmeldeformular sind hier herunterladbar.

Flyer

Anmeldung

UPR-Berichte

Liebe Unterstützer*innen, liebe Mitstreiter*innen, liebe Freund*innen,

Deutschland wird im Mai 2013 zum zweiten Mal vom UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des UPR-Verfahrens (Universal Periodic Review: „Universelles Periodisches Überprüfungsverfahren“) auf seine Menschenrechtssituation überprüft werden. Nichtregierungsorganisationen und nationale Menschenrechtsinstitutionen hatten die Möglichkeit in Form eines Berichts, auf Menschenrechtsverletzungen in Deutschland aufmerksam zu machen.

Über die Menschenrechtsverletzungen, die an intersexuellen Menschen stattfinden, haben die folgenden vier Nichtregierungsorganisationen berichtet:

  1. National Coalition – für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland
    http://www.national-coalition.de/
    Unterstützt von Queeramnesty, vertreten durch Simôn.
  2. FORUM MENSCHENRECHTE
    www.forum-menschenrechte.de
  3. BRK-ALLIANZ – German CRPD ALLIANCE – Allianz der deutschen Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention
    www.brk-allianz.de
  4. Bundesarbeitskreis ver.di Queer, Vertretung der Beschäftigten im Bereich LSBTI
    www.regenbogen.verdi.de

Intersexuelle Meschen e.V. wurde um Stellungnahmen gebeten und stand den Organisationen beratend zur Seite.

Wir bedanken uns bei den Mitstreiter*innen und Unterstützer*innen sehr herzlich.

Vielen lieben Dank!!!

Der Vorstand

Intersexuelle Menschen e.V.

Die UPR-Berichte befinden sich im Anhang. Sobald uns der UPR-Bericht vom BAK LSBTI ver.di zugeht werden wir auch diesen umgehend versenden.

Hier Auszüge (Forum Menschenrechte und BRK Allianz), die den Bereich intersexuelle Menschen betreffen:

FORUM MENSCHENRECHTE

38.          In 2009, CEDAW urged the German government to start a dialogue with intersexed and transsexual persons to better protect their human rights (CEDAW/C/DEU/CO/6, paras. 61, 62). Unlike transsexuals, who wish to change their sex, intersexed bodies defy the cultural binary of male or female. To this day, intersexed individuals are commonly pathologised, forced to register as male or female, and fitted into a standardised sex by way of irreversible medical surgery. This routinely includes the removal of the gonads at or before the age of two, feminising the body development and requiring lifelong hormone substitution, often inadequate and, with serious physical and psychological side-effects, including depression, kidney failure, osteoporosis, obesity, and inability to work. In 2011, CESCR noted that transsexual and intersexed persons are often considered to be mentally ill which implied discrimination by State policies, legislation or otherwise, violating their sexual and reproductive health rights (E/C.12/DEU/CO/5, para. 26).

39.          CAT found that the medical treatment of intersexuals constitutes inhuman and degrading treatment (CAT/C/DEU/CEO/5, para. 20). In 2012, the German Ethics Council finally published its report, challenging the exclusiveness of male or female sex registration and addressing human rights violations by surgery. While the situation of transsexuals was somewhat improved, the Government has yet to protect intersexuals against surgery. The abusive practice continues and claims for damages are being rejected.

58.          The German Government should take urgent measures in relation to intersexed people to stop harmful medical practice immediately, train medical staff on gender variance, and compensate victims.

BRK-ALLIANZ – German CRPD ALLIANCE – Allianz der deutschen Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention

„15. In der Bundesrepublik Deutschland leben ca. 10.000 – 120.000 intersexuell geborene Menschen[1]. Die Mehrzahl der intersexuellen Menschen wird durch Verstümmelung zu Schwerbehinderten gemacht und lebenslang an der Teilhabe behindert. Diese Gruppe von Menschen wird wegen ihres Geschlechts diskriminiert und unmenschlichen Behandlungen ausgesetzt. Dies hat bereits der UN-Ausschuss zu CAT 2011 in seinen Abschließenden Bemerkungen festgestellt[2].“

„Empfehlung:

  • Die Bundesregierung möge durch gesetzliche Regelungen die Existenz intersexueller Menschen sichtbar machen und klarstellen, dass alle bestehenden gesetzlichen Regelungen inklusive dem Sterilisationsgesetz, dem Verbot der kosmetischen Operationen an den Genitalien ohne aufgeklärte Einwilligung der betroffenen Menschen selbst, für alle Menschen gelten.“


[1] Verlässliches statistisches Material gibt es nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass bei jeder  500.- 2000. Geburt in Deutschland eine Besonderheit der geschlechtlichen Differenzierung vorkommt.

[2] vgl. dazu Punkt 20 der Abschließenden Bemerkungen in http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/UPR_zu_Deutschland/UPR2013_Deutschland_NC_de.pdf

Gemeinsame_UPR_Einreichung_DEUTSCHLAND_DE_FINAL

Hintergrund_ Überprüfungsverfahren

Joint_NGO_Submission_GERMANY_EN_FINAL

Kinderrechte_und_Intersexualität_NC

UPR2013_germany_NGO-submission_FMR

Anlage_3_BAK-Schreiben_an_UPR_Submission_2013-1

Neben Frauen & Männern & anderen Geschlechtern…

Intersexuelle Menschen in Köln am 23.05.2013

Am 23. Mai findet in Köln eine Veranstaltung über Menschenrechtsverletzungen an intersexuellen Menschen statt.

Neben einem Vortrag und einer Podiumsdiskussion werden mehrere Filme zum Thema gezeigt.

Der Flyer zur Verantstaltung lässt sich hier downloaden:

Flyer Köln

Exptertenanhörung vor dem Bundestagsausschuss f. Familie mit der 1. Vors. L.Veith

Die Anhörung vor dem Familienausschuss des Deutschen Bundestages hat am 25.06.2012 stattgefunden.

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a13/themen/39209706_kw26_pa_familie1/index.html

 

Dazu schreibt der  Pressedienst des Bundestages:

Experten: Intersexualität ist keine Krankheit

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Anhörung) – 25.06.2012

Berlin: (hib/AW) Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden. Dies war das einhellige Votum der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am Montagnachmittag. Der Ausschuss hatte medizinische und juristische Experten sowie Vertreter von Selbsthilfevereinen geladen, um mit ihnen über die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Thema Intersexualität (17/9088) zu debattieren. Zur Diskussion stand zudem ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/5528), in dem die Grünen einen verbesserten Schutz der Grundrechte intersexueller Menschen einfordern. Einigkeit herrschte zwischen den Experten auch in dem Urteil, dass Intersexualität keine Krankheit darstelle. Die Experten folgten weitestgehend der Stellungnahme des Ethikrates.

Die Rechtswissenschaftlerin Konstanze Plett von der Universität Bremen führte an, dass die unteilbaren Menschenrechte, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg formuliert worden seien, ab der Geburt Geltung hätten. Zu diesen Menschenrechte gehöre unzweifelhaft die körperliche Unversehrtheit. Ein fremdbestimmter körperlicher Eingriff diesen Ausmaßes sei deshalb nicht hinzunehmen. Lediglich wenn es um die Frage von Leben oder Tod gehe, sei dies statthaft. Erst wenn ein Kind sich in dieser Frage unzweifelhaft selbst äußern könne, dürfe eine Entscheidung gefällt werden. Und es müsse geprüft werden, dass die Entscheidung des Kindes für das eine oder andere Geschlecht ohne Beeinflussung von außen, etwa durch die Eltern, getroffen worden sei. Dies könne beispielsweise durch ein Familiengericht geschehen. Lucie Veith, Vorsitzende des Vereins Intersexuelle Menschen aus Neu-Wulmstorf, schloss sich diesem Plädoyer an: Weder Eltern, Ärzte, Psychologen noch ein Parlament hätten das Recht, das Geschlecht eines Menschen zwangsweise festlagen zu lassen. Jörg Woweries, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, führte an, dass es keinen medizinischen Beweis dafür gebe, dass eine Operation zur Geschlechtsfestlegung bei Kleinkindern ungefährlicher oder erfolgversprechender sei als bei einem Erwachsenen. In jedem Fall seien operative Eingriffe mit einem „hohen Risiko“ behaftet und stellten einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeit eines Menschen dar. In jedem Fall müsse vor jeder Operation eine neutrale Beratung stattfinden.

Für deutlich verbesserte Beratungsangebote für die Eltern intersexueller Kinder sprach sich Julia Marie Kriegler von der Elterngruppe der XY-Frauen aus. Sie berichtete dem Ausschuss von ihren eigenen Erfahrungen mit einem nunmehr sechsjährigen intersexuellen Kind. Eltern seien nach der Geburt mit einer solchen Situation völlig überfordert. Vor allem dürften sie jedoch nicht von Ärzten und Behörden zu einer schnellen Entscheidung gedrängt werden. Die Gesellschaft müsse erst langsam lernen, dass es neben den beiden „klassischen“ Geschlechtern auch ein drittes Geschlecht gebe.

Einmütig stellten die Experten zudem fest, dass das deutsche Personenstandsrecht nicht den Bedürfnissen von intersexuellen Menschen Rechnung trägt. Michael Wunder von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg und Mitglied im Deutschen Ethikrat sprach sich dafür aus, neben den Eintragungen „männlich“ und „weiblich“ auch die Eintragung „anderes“ zu ermöglichen. Woweries sprach sich dafür aus, auf eine Geschlechtsfestlegung im Personenstandsrecht bis zur Volljährigkeit ganz zu verzichten.

Der Rechtswissenschaftler Tobias Helms von der Universität Marburg wies jedoch darauf hin, dass Änderungen im deutschen Recht auch zu Problemen im internationalen Rechtsverkehr führen könnten. So müssten deutsche Behörden und Gerichte auf die in Deutschland lebenden Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit auch weiterhin das ausländische Recht anwenden, das Angaben zum Geschlecht vorsieht. Umgekehrt könnten deutsche Staatsangehörige in familienrechtlichen Angelegenheiten Probleme im Ausland bekommen, wenn ihre Geschlechtszugehörigkeit im Personenstandsregister nicht festgelegt sei. Diesem Einwand widersprach Konstanze Plett. Sie verwies darauf, dass Deutschland auch die eingetragenen Lebenspartnerschaften für Homosexuelle ermöglicht habe. In vielen ausländischen Staaten sei dies bis heute nicht vorgesehen.

Presseerklärung des Deutschen Ethikrates

Deutscher Ethikrat: Intersexuelle Menschen anerkennen, unterstützen und vor gesellschaftlicher Diskriminierung schützen

PRESSEMITTEILUNG 01/2012
Berlin, den 23. Februar 2012
Der Deutsche Ethikrat stellt am heutigen Donnerstag in Berlin seine im Auftrag der Bundesregierung erarbeitete Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen vor. Er ist der Auffassung, dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen. Zudem müssen sie vor medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft geschützt werden.

Im Mittelpunkt der Diskussionen stand immer wieder die Frage, ob chirurgische Eingriffe an den Geschlechtsorganen von Menschen mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung (DSD – differences of sexs development) und insbesondere bei betroffenen Kleinkindern überhaupt zulässig sein sollten.

Irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung bei Menschen mit uneindeutigem Geschlecht stellen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität und das Recht auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar. Die Entscheidung darüber ist höchstpersönlich. Daher empfiehlt der Ethikrat, dass sie grundsätzlich von den Betroffenen selbst getroffen werden sollte. Bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen sollten solche Maßnahmen nur erfolgen, wenn dies nach umfassender Abwägung aller Vor- und Nachteile des Eingriffs und seiner langfristigen Folgen aufgrund unabweisbarer Gründe des Kindeswohls erforderlich ist. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn die Maßnahme der Abwendung einer konkreten schwerwiegenden Gefahr für die physische Gesundheit oder das Leben der Betroffenen dient.

Wenn, wie im Falle des Adrenogenitalen Syndroms (AGS), das Geschlecht festgestellt werden kann, sollte bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen die Entscheidung über die operative Angleichung der Genitalien an das Geschlecht nur nach umfassender Abwägung der medizinischen, psychologischen und psychosozialen Vor- und Nachteile einer frühen Operation erfolgen. Maßgeblich ist auch hier das Kindeswohl. Im Zweifel sollte auch bei solchen geschlechtsvereindeutigenden Eingriffen die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen abgewartet werden.

Die medizinische Diagnostik und Behandlung von DSD-Betroffenen sollte nur in einem speziell dafür qualifizierten interdisziplinär zusammengesetzten Kompetenzzentrum von Ärzten und Experten aus allen beteiligten Disziplinen vorgenommen werden. Die fortlaufende medizinische Betreuung soll in unabhängigen qualifizierten Betreuungsstellen bei gleichzeitiger Beratung durch andere Betroffene sowie Selbsthilfeeinrichtungen fortgeführt werden. Alle Behandlungsmaßnahmen sollten umfassend dokumentiert werden und den Betroffenen für mindestens 40 Jahre zugänglich sein. Die Regelungen zur Verjährung bei Straftaten an einem Kind sollten auf solche Straftaten erweitert werden, durch die die Fortpflanzungsfähigkeit und/oder die sexuelle Empfindungsfähigkeit irreversibel beeinträchtigt wurde.

Für Betroffene, die Schmerzen, persönliches Leid, Erschwernisse und dauerhafte Einschränkungen ihrer Lebensqualität erlitten haben, weil sie Behandlungen unterzogen wurden, die nach heutigen Erkenntnissen nicht (mehr) dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zugerechnet werden können und auf ausgrenzenden gesellschaftlichen Vorstellungen von geschlechtlicher Normalität beruhten, sollte ein Fonds errichtet werden, der ihnen Anerkennung und Hilfe zukommen lässt. Darüber hinaus sollten Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbände öffentlich finanziell gefördert werden.

Der Ethikrat ist zudem der Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem Geschlecht „weiblich“ noch „männlich“ zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen. Es sollte daher geregelt werden, dass von diesen Personen neben der Eintragung als „weiblich“ oder „männlich“ auch „anderes“ gewählt werden kann bzw. dass kein Eintrag erfolgen muss, bis die betroffene Person sich selbst entschieden hat. Um Personen, die im Personenstandsregister als „anderes“ eingetragen sind, die Möglichkeit einer Beziehung zu eröffnen, die staatlich anerkannt und rechtlich geregelt von Verantwortung und Verlässlichkeit geprägt ist, schlägt der Ethikrat mehrheitlich vor, Menschen mit dem Geschlechtseintrag „anderes“ die eingetragene Lebenspartnerschaft zu ermöglichen. Ein Teil des Ethikrates plädiert darüber hinaus dafür, ihnen auch die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen. Als Grundlage für künftige Entscheidungen des Gesetzgebers sollte geprüft werden, ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist.

Der Begriff Intersexualität bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund körperlicher Besonderheiten nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lassen. Er wird in der Öffentlichkeit für unterschiedliche Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung verwendet. Teilweise werden auch Menschen darunter gefasst, die sich selbst nicht als intersexuell verstehen und sich sogar gegen diesen Begriff verwahren.  Der Ethikrat verwendet daher in seiner Stellungnahme DSD (differences of sex development) als medizinischen Oberbegriff für alle Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen von DSD bringen jeweils besondere Probleme und Bedürfnisse der Betroffenen mit sich. Sie erfordern eine differenzierte ethische und rechtliche Bewertung.

In seiner Stellungnahme differenziert der Ethikrat zudem zwischen „geschlechtsvereindeutigenden“ und „geschlechtszuordnenden“ Eingriffen, die unterschiedlich zu bewerten sind. Mit einem vereindeutigenden Eingriff ist die Korrektur einer biochemisch-hormonellen Fehlfunktion, die potenziell einen gesundheitsschädigenden Charakter hat, gemeint. Gegebenenfalls kann auch ein operativer Eingriff zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes an das genetisch und durch die inneren Geschlechtsorgane feststehende Geschlecht gemeint sein. Demgegenüber greifen geschlechtszuordnende Interventionen sehr viel weiter in die Persönlichkeit des Kindes ein, da bei vorliegender Unbestimmbarkeit von Eltern und Ärzten entschieden wird, zu welchem Geschlecht die Zuordnung erfolgen soll.

Stellungnahme

Pressekontakt

Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutscher Ethikrat
Jägerstrasse 22/23
D-10117 Berlin

Tel: +49 (0)30 203 70-246
Fax: +49 (0)30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org

Persönliche Stellungnahme der 1. Vorsitzenden Lucie Veith am 23.2.2012/Deutscher Ethikrat

23.02.2012 Lucie Veith

Pressekonferenz : Statement der 1. Vorsitzenden  des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. anlässlich der Übergabe der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates

 

Sehr geehrte Anwesenden,

ich vertrete den Vorstand des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. und der vom Verein geförderten Selbsthilfegruppen xy-frauen und der SHG  Intersexuelle Menschen und danke dem Deutschen Ethikrat ausdrücklich für den mit uns geführten Dialog.

Wir sind uns bewusst, dass dies eine  besondere Herausforderung für die Mitglieder des Deutschen Ethikrates  war und ist.  Denn  auch für  einige  Mitglieder des Ethikrates wird das Leiden  der intersexuellen Menschen, das  in  staatlich geduldeter struktureller Gewalt, dem tabuisierten Umgang  und  unmenschlicher Behandlung ohne ausreichende Evidenz begründet  ist, ein neues Thema.

Wir begrüßen es sehr, dass das Tabu um unser Leben und das Leiden gelüftet ist. Herr Dr. Wunder hat es  in einem Betrag  2011 auf den Punkt gebracht: Intersexuelle Menschen müssen aus den dunklen Höhlen des Tabus heraus.

Die  Empfehlungen  stellen  nach den  Schattenberichten  zu den Staatenberichten und den jeweiligen Abschließenden Bemerkungen  der UN –  Ausschüsse  zur  vollständigen  Beseitigung  der Diskriminierung  der Frau,(CEDAW), dem UN Sozialpakt  (CESCR) sowie  dem  UN- Ausschuss gegen Folter und  unmenschliche  Behandlung oder Strafe(CAT), der  Veranstaltung 2010 im Forum Bioethik und der Anhörung  durch den Ethikrat 2011, der  ersten Beratung im Bundestag am 23.11.2011  einen bedeutenden  Schritt auf dem Weg der intersexuell geborenen Menschen zu  ihren Menschenrechten und ihrem gleichberechtigten Platz  in der Gesellschaft dar.

In der Kürze der Zeit war es nicht  möglich ein Stimmungsbild aller vom Vorstand  des Vereins Intersexuelle Menschen  e.V.  vertretenden Menschen darzustellen. Namens des Vorstandes darf ich den Vertretern der Bundesregierung, den Bundesministerien und des Ethikrat und natürlich auch den Medienvertretern unsere umfassenden schriftlichen Bemerkungen zur  Stellungnahme  in ca. 4 Wochen ankündigen.

Erlauben Sie mir ein paar persönliche Bemerkungen:

Mit  Verwunderung  habe ich zur Kenntnis genommen, dass  nicht auch das BMFSJ Auftraggeber des Dialoges ist… Hintergrund  dieser Stellungnahme ist immerhin die Aufforderung  des UN –Ausschusses CEDAW, und dies liegt in der Zuständigkeit des BMFSJ.

Doch nun zur Stellungnahme des deutschen Ethikrates:

Beim ersten Durcharbeiten stellt man fest, wie sehr die Bestimmung des intersexuellen Lebens durch Medizin geprägt ist. Und  dies, obwohl in den allermeisten Fällen kein medizinischer Notfall besteht. Dies wurde auch vom Ethikrat erkannt und  findet  seine  Würdigung  in dieser Stellungnahme. Intersexuell zu sein  bedeutet nicht, krank zu sein. Intersexuelles Leben ist eine Varianz.  Die  Anerkennung der Unterschiede der geschlechtlichen Entwicklung und den Vorschlag dies auch in einem freiwillig gewählten Personenstandeintrag  „ anderem“ Raum zu geben  wird manchem  intersexuellem Menschen eine neue Perspektive geben.

Ja, ich begrüße auch die Erkenntnis, dass es um existenzielle Überlebensfragen für intersexuell geborene Menschen  geht, darum dass das  Recht auf  physische und  psychische  Unversehrtheit auch intersexuellen Menschen zusteht. Mehr als verwundert bin ich über die Empfehlung, Menschen mit AGS/CAH ein eingeschränktes Menschenrecht der körperlichen Unversehrtheit zuzubilligen. Menschenrechte sind nicht teilbar, sie gelten für alle Menschen  gleich. Eine unterschiedliche Betrachtung in „geschlechtszuweisend“ und „geschlechtsvereindeutigenden“  OP´s erschließt sich mir nicht. Eine Genitalbeschneidung ist immer eine Verstümmelung des eigen  Geschlechts.

Positiv ist, dass in der hier vorgestellten Stellungnahme das Selbstbestimmungsrecht und das Recht der Kinder auf den umfassenden und uneingeschränkten staatlichen Schutz ausdrücklich bestätigt werden.

Das Recht der stellvertretenden Einwilligung der Eltern wird benannt, jedoch auch der dienende Charakter dieses Rechts :Jede Entscheidung muss dem Kindeswohl dienen und die Genitalverstümmelung und  Kastration dienen dem Kind generell nicht.

Die  Frage, wie sicher gestellt wird, dass nicht über den Kopf eines Kindes entschieden wird sei hier in den Raum gestellt.

Wer schützt das intersexuell geborene Kind, wenn sich das Kind gegen die Entscheidung der Eltern und der Ärzte stellt?

Wo ist das von uns und den Eltern der SHG Elterngruppe xy-frauen vorgeschlagene zeitliche Moratorium?

Die  freie informierte Einwilligung steht nun im Vordergrund. Dies wurde von  intersexuellen Menschen seit vielen Jahren gefordert: Wichtige Punkte, wie die Aufbewahrungsfrist von Patientenakten werden in der Stellungnahme  angesprochen, selbst die unzureichende Situation der medizinischen Versorgung, der ständige Stress dem intersexuelle Menschen mit Krankenkassen, mit medikamentöser Versorgung ist in die Stellungnahme eingeflossen. Nicht berührt sind die ungelösten Probleme mit Landeseinrichtungen mit Versorgungsämtern und Sozialgerichten.

Der Aufbau von europäischen Datenbanken zu Forschungszwecken ist keine Forderung der Betroffenenverbände. Wir würden uns nur dann beteiligen, wenn von staatlicher Seite sicher gestellt wird, dass wir, die Betroffenen

1. Zugang zu dieser Datenbank bekommen und

2. unsere Forderung nach patientenkontrollierten Forschungen garantiert werden.

Ein weitere Empfehlung des Ethikrates findet nicht meine Zustimmung. Zu finden unter 9.3 Satz 3:

Intersexuellen Menschen, die  den neuen  Personenstand „ anderes“  wählen , sollen ,so möchte es ein Teil des Ethikrates, keinen Zugang zur Ehe haben, sondern es soll für diese Menschen nur der die eingetragene  Lebenspartnerschaft möglich sein. Ich halte dies, mit Verlaub gesagt, für einen  Akt von offener Diskriminierung.  Stellen Sie damit den Bestand der Familien  und die Ehe von intersexuellen Überlebenden von Menschenversuchen in Frage? Dadurch, dass intersexuellen Menschen die Ehe nicht ermöglicht werden soll, ist dies doch wieder ein Weg in die Unsichtbarkeitsmachung. Intersexuelle Menschen werden in ihren Höhlen bleiben und sich einer solche menschenrechtswidrigen Praxis unterziehen, um nicht erneut aufzufallen. Welche Mutter, welcher Vater würde seinem Kind einen solchen Personenunstand zumuten? Was spricht gegen die standesamtlich legitimierte Ehe?

Der deutsche Ethikrat ist nicht die Regierung, Gesetze verabschiedet das Parlament. Ich erhoffe mir, dass die Regierung und die Ministerien sich nun zu einem Dialog entschließen und offenen respektvolle  Beratung mit Vertretern des Vereins Intersexuelle Menschen als auch mit Vertretern anderer Vereinigungen aufnimmt.

Wir sind und waren stets zu Gesprächen bereit.

Diesen  Empfehlungen werden nun hoffentlich bald  gesetzliche Regelungen  folgen, die die Rechte der intersexuellen Menschen regeln.

Zum Schluss möchte ich mich ausdrücklich bei Herrn Dr. Wunder bedanken für die vielen Gespräche und den fairen Umgang.

Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen und wir werden weiter für die Anerkennung unserer Menschenrechte kämpfen.

Vielen Dank!

Hebammenbroschüre

Am 13. November 2009 ist ein Ratgeber für Hebammen erschienen.

Titel: Was ist es denn?

(Informationsbroschüre für Hebammen)

Jetzt sind Fortbildungen/Schulungen für Hebammen geplant.